Wir haben nur unsere Hoffnung

14.03.2022

Ukraine-Krieg: Göttinger Ehepaar Fink bietet geflüchteter Familie Unterkunft

Göttingen – Der Beginn des Ukraine-Kriegs löste in Europa eine immense Welle der Hilfsbereitschaft aus. Auch in Göttingen helfen die Menschen, wo sie können. So wie Marion und Andreas Fink, die seit gut einer Woche ihr Zuhause mit einer dreiköpfigen Familie aus Kiew teilen.
In dem Reihenhaus der Göttinger wohnen derzeit Nadyia Pavlenko (35), ihre Mutter Galina (62) sowie der zehnjährige Sohn und Enkel Daniel. Am 4. März sind sie bei Marion und Andreas Fink angekommen, nachdem sie insgesamt neun Tage unterwegs waren.

„Wir haben Kiew am 25. Februar verlassen“, erzählt Galina Pavlenkos ältere Tochter Lesia (37) auf Englisch. Sie ist mit einer Freundin ebenfalls in Göttingen bei einer ande- ren Familie untergekommen. Eigentlich habe die Familie direkt mit Kriegsbeginn am 24. Februar die Stadt verlassen wollen, doch sie mussten wieder umkehren – die Straßen waren zu voll.

„Wir sind wieder nach Hau- se und dachten: Morgen ist bestimmt alles wieder vorbei“, erzählt die Ukrainerin. Dass es überhaupt Angriffe der russischen Truppen auf die Ukraine geben könne, habe man sich noch am Tag vor- her nicht vorstellen können, sagt sie. „Wir haben natürlich gesehen, dass die russische Armee sich an der Grenze aufstellt. Aber das sie tat- sächlich angreift, das war für uns undenkbar.“

Am 25. Februar machten sich die Frauen morgens um 5 Uhr auf den Weg. „Die Straßen waren dieses Mal leer. Eigentlich hätten wir nicht
mehr aus der Stadt herausgedurft, aber wir haben es trotzdem gemacht“, so die 37-Jährige. Gemeinsam mit einer Freundin, ihrem Hund und ihrer Katze machten sich die Frauen auf den Weg zunächst in Richtung West-Ukraine.

15 Stunden sind sie unter- wegs. Als sie an der polnnischen Grenze ankommen, heißt es warten. Drei Tage und drei Nächte schlafen und leben sie in ihrem Auto, dann dürfen sie passieren, fahren weiter bis nach Tschechien und von dort nach Deutschland.

„Wir wollten nach Leipzig, weil wir von einer Flüchtlingsunterkunft dort gehört hatten“, so Lesia Pavlenko. Aber weil in der Unterkunft keine Tiere erlaubt sind, können sie dort nicht bleiben. Durch Bekannte, die mit einem Netzwerk in Verbindung stehen, dass von der Göttingerin Juliane Tobeck- Fekete organisiert wird, er- fahren sie von der Uni-Stadt und entschließen sich, hierher zu kommen.

„Das ging alles recht schnell“, erinnert sich Mari- on Fink. „Wir wussten, es würden Leute ankommen und waren an dem Freitag gerade dabei, alles vorzubereiten, da kam die Nachricht, dass in zwei Stunden eine Familie ankommt, die mit ihrem eigenen Auto geflüchtet sei.“ Die Pavlenkos.
Seitdem leben Nadyia, Da- niel und Galina mit Marion und Andreas Fink zusammen. „Sie haben sofort einen eigenen Hausschlüssel bekommen und können hier ein- und ausgehen, wie sie möchten“, so Andreas Fink. Er sei über die sozialen Medien auf einen Aufruf von Juliane Tobeck-Fekete aufmerksam geworden, die auf der Suche nach Unterkünften für Geflüchtete war. „Wir haben keine Sekunde gezögert und uns sofort bereit erklärt, jemanden aufzunehmen“, so Fink.

Für ihn und seine Frau sei das selbstverständlich. Er gehöre zur Nachkriegsgeneration und könne sich noch sehr gut daran erinnern, wie dankbar sein Vater von der Hilfsbereitschaft der Menschen erzählt hatte, die er auf seiner Flucht erfahren habe.

Nun verbringen die beiden Familien sehr viel Zeit mitei- nander, kochen zusammen und unterstützen sich auch sonst, wo sie können. „Galina
räumt ständig das Haus auf. Sie soll das eigentlich nicht, aber sie macht es aus Dankbarkeit – und braucht auch eine Beschäftigung“, erzählt Marion Finke lachend. Andreas Fink hat Sohn Daniel eine Art Stundenplan zum Lernen erstellt.

Der Zehnjährige darf au- ßerdem demnächst einige Unterrichtsstunden in der Grundschule Leineberg besu- chen. Die Familie, in der seine Tante Lesia derzeit wohnt, hat das organisiert. Ein Ter- min bei der Stadtverwaltung zwecks Anmeldung ist ebenfalls schon erledigt.

Wie es weitergeht? „Wir wissen es nicht. Wir haben nur unsere Hoffnung. Die Hoffnung, dass in ein paar Wochen alles vorbei ist und wir zurück in unsere Heimat gehen können“, sagt Lesia Pavlenko.